Die Neue Rechte: Alte Ideologie, neues Auftreten

von weitklick-Redaktion | 11.01.2022

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© Unsplash | Ben White

Livestreams, Podcasts, Musikvideos und TikToks – Rechtsextreme nutzen seit einigen Jahren verstärkt Social Media-Plattformen und ihre Formate für Stimmungsmache, Hetze und Rekrutierung. Dieser Trend ist gefährlich – insbesondere für junge Menschen.

Wie gelingt es der Neuen Rechten, ihre Botschaften über Social Media zu verbreiten? Und wie können Sie als Lehrkräfte Ihre Schüler*innen schützen?

Um den manipulativen Inhalten etwas entgegen zu setzen, ist es wichtig, die dahinterliegenden Strategien zu erkennen und zu verstehen. In diesem Blogbeitrag geben wir einen Überblick, wie sich die Neue Rechte online inszeniert, welche Strategien sie anwendet und wie Sie rechtsextreme Online-Propaganda im Unterricht besprechen können.
 

Radikale Ansichten im scheinbar harmlosen Gewand
 

Die neue Generation Rechtsextremer tritt nicht mehr vermummt auf, sondern zeigt ihre Gesichter und auch Namen. Ihre Anhänger*innen inszenieren sich wie Influencer*innen und bereiten ihre Inhalte plattformgerecht für die größtmögliche Reichweite auf: So posten auf Instagram vor allem Frauen vermeintlich harmlose ästhetische Bilder mit versteckten rechten Symbolen und Botschaften. Unter dem Hashtag #heimatverliebt finden sich Bilder von Landschaften, Menschen in traditioneller Kleidung und mit Deutschlandfahnen. Die jungen Frauen bilden sich feminin mit langem geflochtenem Haar ab, traditionell und naturverbunden, teilweise mit Bezug auf nordische Mythologie. Auf den ersten Blick sind sie nicht immer als Rechte zu erkennen.

Darüber hinaus verwenden die Influencer*innen rechte Sprache und Ideologeme von „Heimat“ und „Vaterland“. Sie bedienen das faschistische Grundnarrativ, dass sie als „Deutsche“, „Europäer“ oder auch „Christen“ von einem übermächtigen Feind bedroht würden. Sie befänden sich am Rande der Vernichtung und diese Bedrohung ließe sich nur abwenden, indem sie ihre Kräfte mobilisierten.
 

Alte Ideologie, neues Auftreten
 

Das erklärte Ziel der Rechtsextremen ist es seit jeher, die Gesellschaft zu spalten und demokratische Werte, die Verlässlichkeit von Wissenschaft sowie die Gültigkeit von Fakten in Diskussionen infrage zu stellen. Die Haltung, mit der die Neue Rechte diese alte Ideologie verkauft, ist allerdings neu und an die Onlinewelt angepasst. Die Akteur*innen wirken nahbar, zeigen Gesichter und Gefühle, um emotionale Beziehungen aufzubauen und die Rezipient*innen zu beeinflussen. Sie haben sich die Logik von Social Media zu eigen gemacht und verwenden die Bildsprache der Plattformen, die sie bespielen. Sie verpacken ihre menschenverachtenden Inhalte in Bilder und nutzen Bezüge aus der Popkultur und Memes.
 

Fünf typische Strategien der Neuen Rechten in Sozialen Medien

Polarisierende Erzählungen sorgen auf Social Media für große Reichweite. Das macht sich die Neue Rechte zunutze. Wie sie dabei vorgeht, stellen wir Ihnen anhand von fünf typischen Strategien vor.

  1. Themeninvasion. Ein Rechtspopulist filmt sich beim Kochen, erzählt gut gelaunt vor sich hin und streut dabei rassistische Gedanken ein. Freundliches Auftreten und banale Inhalte ermöglichen den rechten Influencer*innen, radikale Ideen und rassistische Begriffe unterschwellig einzubringen. Das Ziel: durchs Wiederholen wollen sie die damit verbundene Weltsicht in der Mitte der Gesellschaft verankern, sie normalisieren und legitimieren. Diese strategische schleichende Gewöhnung an Konzepte, die mit einer liberalen Gesellschaft und Demokratie unvereinbar sind, bezeichnen die Rechten selbst als Themeninvasion.
     
  2. Graduelle Radikalisierung. Schrittweise werden auch die Inhalte immer radikaler: Auf Social Media gelangen User*innen von kritischen Posts und Videos mit beispielsweise antifeministischen oder homophoben Tendenzen schnell zu immer drastischeren Inhalten. Der Algorithmus bevorzugt sie, da diese mehr Emotionen und Reaktionen hervorrufen und Nutzer*innen sie länger anschauen, mehr teilen, kommentieren und liken. Die graduelle Radikalisierung funktioniert durch das ständige Wiederholen und immer extremere Inhalte.
     
  3. Ironisierung. Die neurechten Influencer*innen arbeiten mit Ironisierung in ihren Beiträgen. Ironische Formulierungen erlauben ihnen, sich bei Kritik taktisch zurückzuziehen und sich darauf zu berufen, dass es alles nicht so gemeint war und die Kritiker*innen Ironie nur nicht verstehen würden.
     
  4. Opferrolle. Die Neue Rechte versucht ihre eigene Wirkung zu manipulieren, indem sie sich häufig in der Opferrolle darstellt. Sie erklärt, dass sie Anfeindungen und Ausgrenzung erfährt und appelliert damit an Beschützerinstinkte derer, die durch das scheinbar harmlose Auftreten Sympathien entwickelt haben könnten. Mit Äußerungen darüber, dass sie niemand versteht und dass sie gegen die Mehrheitsgesellschaft rebellieren, spiegeln rechte Influencer*innen insbesondere pubertäre Gefühle wider, suchen Gemeinsamkeiten mit und Verständnis von jungen Menschen.
     
  5. Derailing (Entgleisen, Umleiten). Die Neuen Rechten emotionalisieren Debatten und verschließen sich Wissenschaft und Fakten als Diskussionsgrundlage. Zudem nutzen sie häufig Derailment oder die Derailing-Methode, bei der sie vom Kernthema ablenken und Diskussionen zu ihren eigenen Themen anstoßen. Beispielsweise fragen sie unter kritischen Beiträgen zu Rechtsextremismus, was denn mit linker Gewalt sei.
     

Tipps für den Unterricht

Je besser Sie die Strategien der Neuen Rechten kennen, desto optimaler können Sie Ihre Schüler*innen beim Umgang mit solchen Inhalten begleiten. Machen Sie sich vertraut mit der Welt und Bildsprache auf Social Media und beschäftigen Sie sich mit den Themen und Symbolen der Neuen Rechten.

Besprechen Sie neben der Problematik von Desinformationen auch das Thema rechtsextreme Online-Propaganda mit Ihren Schüler*innen und klären Sie sie über die Strategien der Neuen Rechten auf. Vermeiden Sie dabei jedoch, die tatsächlichen Inhalte zu zeigen, um den menschenverachtenden Äußerungen so wenig Raum wie möglich zu geben. Sensibilisieren Sie Ihre Schüler*innen für die Emotionalisierung auf Social Media und geben Sie Ihnen Faktencheck-Tools an die Hand, damit sie Inhalte auch eigenständig hinterfragen und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können.

Im Fall, dass Schüler*innen mit rechtsextremen Inhalten zu Ihnen kommen, nehmen Sie sich die Zeit und besprechen Sie es gemeinsam. Führen Sie zusammen einen Background-Check durch: Wer hat den Inhalt gepostet? Zeigen Sie Inszenierung und Emotionalisierung auf und erklären Sie das faschistische Grundnarrativ. Es ist wichtig, die Jugendlichen mit diesen gefährlichen Inhalten nicht allein zu lassen und eine starke Gegenstimme zu sein.
 

Informationen und Austausch über Hass im Netz
 

Der Inhalt dieses Blogartikels stammt aus dem weitklick-Webinar „Symbole und Strategien der Neuen Rechten“ mit Investigativjournalist Patrick Stegemann. Zusammen mit Sören Musyal recherchierte er im rechten Netzmilieu. In ihrem 2020 erschienen Buch „Die rechte Mobilmachung: Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen“ analysieren die beiden Autoren ihre Ergebnisse. Das Thema Hass im Netz in Verbindung mit Desinformation wird ab Mitte des Jahres ein neuer inhaltlicher Schwerpunkt von weitklick.
 

Weitere Informationen und Quellen

  • Eine Recherche von CORRECTIV macht deutlich, wie die rechte Szene Instagram benutzt, um junge Menschen zu rekrutieren.
  • Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat eine Broschüre der rechtsextremen Symbole, Zeichen und verbotenen Organisationen zusammengestellt.
  • Illegale Onlineinhalte, die gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verstoßen (bspw. verherrlichende Gewaltdarstellungen, volksverhetzende oder kriegsverherrlichende Darstellungen) können bei der FSM-Beschwerdestelle gemeldet werden.
  • Bericht Rechtsextremismus im Netz 2020/21 von jugendschutz.net
  • Unser Blogartikel zum Umgang mit Verschwörungsmythen
  • Tipps zum Umgang mit rechten Argumentationen der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin
  • Artikel von t3n zum Thema Derailing im Netz
  • Artikel von Die Zeit über die rechte Vereinnahmung eines Comicfrosches
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