TruthTellers – Wie kann ich Verschwörungserzählungen mit Jugendlichen thematisieren?

von Raphaela Müller (Gastbeitrag) | 17.05.2022

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Visual TruthTellers

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Verschwörungserzählungen hat die Gesellschaft gerade in der Pandemie stark beschäftigt. So hat auch der Bedarf an pädagogischen Angeboten zugenommen, die Jugendliche dazu befähigen, Quellen zu hinterfragen und Fakten zu checken. Um die Mechanismen und Charakteristika von Verschwörungserzählungen zu verstehen und erkennen zu können, reicht das Wissen zu Quellenkritik und Faktenchecks allein jedoch nicht aus.

Vielmehr bedarf es einer ganzheitlichen Auseinandersetzung mit den dahinterstehenden Weltbildern und Narrativen, um für die Strategien der Verbreitung sensibilisiert werden zu können. Hier setzt das Projekt TruthTellers an. Das Projekt wurde initiiert vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und gefördert von der mabb – Medienanstalt Berlin-Brandenburg.

Pädagogischer Ansatz über Storytelling und mediale Stilmittel der Emotionalisierung

Woher wissen wir eigentlich, was die Wahrheit ist? In fünftägigen Modellworkshops haben sich 2021 drei Berliner Schulklassen der 8. und 9. Jahrgangsstufe in aufeinander abgestimmten Moduleinheiten mit den Themen Wahrheit, Erzählungen und Ideologien auseinandergesetzt. Die Teilnehmenden entwickelten im Projektverlauf selbst Verschwörungsgeschichten und bedienten sich dabei, unterstützt durch den Einsatz digitaler Tools, verschiedener Formen des Storytellings und medialer Stilmittel der Emotionalisierung. Dadurch konnten sie die Bedeutung von Narrativen und die Kraft des Erzählens selbstwirksam erfahrenSie reflektierten gemeinsam darüber, welche bedeutende Rolle Erzählungen, Glaube und Gefühle spielen, um Menschen von ihrem eigenen Weltbild, „der eigenen Wahrheit“, zu überzeugen.

Materialien & Methodenpool

Zu Beginn der Projektwoche wurde das Thema Verschwörungserzählungen durch eine fiktive Rahmengeschichte eingeleitet. Es wurde bewusst darauf verzichtet, auf bestehende Verschwörungserzählungen einzugehen, um nicht auf diese aufmerksam zu machen. Haben im Verlauf des Workshops Teilnehmende selbst einzelne Verschwörungserzählungen erwähnt, wurden diese kurz thematisiert, ohne den Fokus auf die Wiederlegung einzelner Aspekte zu legen. Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden über den Wahrheitsgehalt und erarbeiteten gemeinsam Mechanismen von Verschwörungserzählungen, die gleichzeitig wichtige Elemente für spannende Geschichten sind.

Anhand der Rahmengeschichte mit transparenten Quellenangaben stießen die Schüler*innen auf reale und gefälschte Inhalte. Neben aus dem Kontext gerissenen Nachrichten und Bildern konnten die Schüler*innen auch Webseiten und Generatoren entdecken, mit welchen Fake People, Fake-Posts, -Tweets, -Chats oder reißerische Überschriften und SharePics generiert wurden.

In einer ersten Framing-Übung erzeugten die Teilnehmenden eigene News und neue Zusammenhänge. Diese Übung lieferte auch den Einstieg, um über das Thema Verantwortung zu diskutieren. Mit Hilfe von Pen & Paper-Methoden wie Charakterbogen und Raumsettings zur Entwicklung der eigenen Figuren und Welten, wurde die Basis für die eigene Geschichte gelegt. Einige Mechanismen von Verschwörungserzählungen, wie beispielsweise die Feindbild-Logiken, wurden durch Methoden wie Cui Bono vertieft.

Nachdem die Teilnehmenden mit Hilfe von Verschwörungskarten ihre eigene Geschichte logisch zusammengesetzt hatten („Es gibt keine Zufälle“), ging es im nächsten Schritt um die Emotionalisierung ihrer Verschwörung: Wie können sie die erfundene Geschichte so aufbereiten, dass sie andere Menschen aufwühlt? Welche Möglichkeiten haben sie, das Thema für alle Menschen relevant werden zu lassen? Wie kann man emotional aufgeladene Medieninhalte (Posts, Nachrichten, Videos, Sprachnachrichten, Bilder, News) framen oder selbst produzieren?

TruthTellers

Zum Ende des Projektes wurden die Geschichten mit den emotionalisierten Beweisen als Power-Point, Adobe Spark Video oder Twine Text-Adventure-Game vor der Klasse präsentiert. Die Inhalte und Beweise wurden hinterfragt, diskutiert und durch einen Glaubwürdigkeitstest bewertet. Dadurch gingen die Teilnehmenden in eine tiefere Reflexion über Auswirkungen und Verantwortung bei der Verbreitung solcher Geschichten. Sie riefen sich außerdem erneut die Mechanismen und Gefahren von realen Verschwörungsgeschichten in Erinnerung und reflektierten über einen sinnvollen Umgang mit Verschwörungsgläubigen.

Aus den Modellworkshops sind pädagogische Methoden und Materialien entstanden, die für die Arbeit mit Jugendlichen kostenfrei genutzt werden können und auf www.truthtellers.de abrufbar sind.
 

Über die Autorin

Foto von Raphaela Müller
© JFF

Raphaela Müller ist medienpädagogische Referentin im Büro Berlin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. In der Abteilung Praxis arbeitet sie in Modellprojekten (RISE, Isso!, TruthTellers) u.a. an der Schnittstelle von Medienpädagogik und politischer Bildung.

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