Verschwörungserzählungen: Der Verlockung widerstehen

von weitklick-Redaktion | 19.01.2023

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Auf der Sitzfläche eines Stuhls liegt ein Aluhut
© Tom Radetzki (Unsplash)

„Corona-Diktatur beenden“ und „Gib Gates keine Chance“ – Plakate mit Aufschriften wie diesen waren auf den sogenannten Querdenken-Demos seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder zu lesen. Sie gehen auf Verschwörungserzählungen zurück und zeigen, dass sich einige Menschen nicht vorrangig auf Fakten berufen, um ihre Realität zu formen. Auch Gefühle spielen eine Rolle. Deswegen ist heutzutage oft vom postfaktischen Zeitalter die Rede: Auch wenn der Glaube an Verschwörungserzählungen insgesamt nicht unbedingt zugenommen hat, dominieren gefühlte Wahrheiten den gesellschaftlichen Diskurs und die politische Meinungsbildung. Sie haben eine hohe mediale Aufmerksamkeit.

Der Zugang zu solchen Ansichten erfolgt nicht nur in der analogen, sondern auch in der digitalen Welt. Besonders durch die sozialen Medien existieren zahlreiche, in sich stimmige, fiktive Welten, die einander durchaus widersprechen. Die Menschen sehen sich dort mit einer Vielzahl von Aussagen konfrontiert. Teilweise sind diese frei erfunden, teilweise werden Fakten so umgedeutet, dass sie zu einem bestimmten Weltbild passen.

Die Sehnsucht nach Ordnung und Klarheit in einer chaotischen Welt

Krisenhafte Zeiten, in denen Menschen verstärkt Unsicherheit und Verzweiflung empfinden, bieten Verschwörungserzählungen, die auf solchen gefühlten Wahrheiten beruhen, einen fruchtbaren Nährboden. Sie haben es dann leichter, Gehör zu finden und Menschen in ihrem Handeln zu beeinflussen. Diese Krisen können zum einen äußere Einflüsse und globale Herausforderungen wie Krieg, politische Instabilität, Naturkatastrophen oder die Corona-Pandemie sein. Zum anderen können auch persönliche Krisen wie der Verlust von Beziehungen, dem Job oder dem Gefühl von Zugehörigkeit die Empfänglichkeit für Verschwörungserzählungen steigern.

Sie bieten in herausfordernden Lebenslagen unkomplizierte Erklärungen und Handlungsleitlinien, einen Sinn und eine Richtung im Chaos unterschiedlicher Informationen und Deutungen. Das nehmen Menschen unter Umständen gerne an, um einem Gefühl der Überforderung zu entkommen. Sie flüchten sich dann in jene Deutung der Realität, in der sie sich wohl fühlen und deren Konzept für sie verständlich und vertraut ist.

Warum Wissenschaft manchmal keine Chance gegen Verschwörungserzählungen hat

Dieses Verhalten liegt in unserer Psyche begründet: Menschen vermeiden kognitive Dissonanzen, also innere Widersprüche. Deswegen passiert es uns schnell, dass wir vor allem auf Informationen vertrauen, die unsere Sicht auf das Leben und die Welt bestätigen. Kritische Stimmen haben es schwer, auch wenn es sich dabei um „harte“, wissenschaftliche Fakten oder Statistiken handelt. Denn wenn wir uns mit einem Sachverhalt identifizieren können, ist dieser eher überzeugend für uns. Getreu dem Motto: Ich glaube dem, was mir vertraut und nah ist. Menschen erfüllen damit ihr Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit: Für sie ist es wichtig, das Gefühl zu haben, dass sie in unstetigen Zeiten trotzdem die Macht über das eigene Leben haben – und über das, was mit ihnen passiert. 

Anders als die anderen sein

Verschwörungserzählungen präsentieren ihre Inhalte darüber hinaus bewusst als mögliche Alternative, die Menschen eine Orientierung bietet. Sie liefern klare und lineare Erklärungen für gesellschaftliche Ereignisse und schreiben Personen oder Personengruppen eindeutige Verantwortlichkeiten für Probleme zu. Häufig sind antisemitische Vorurteile und antidemokratische Absichten die Grundlage dafür. Verschwörungserzählungen beinhalten die Vorstellung, dass eine kleine, mächtige Gruppe von Menschen die Geschehnisse auf der Erde lenkt – mit teils verheerenden Auswirkungen für die Menschen, welche die fälschlicherweise als „böse“ deklarierten Eigenschaften aufweisen. Hinzu kommt, dass Teile der Bevölkerung die „klassischen“ Medien nicht mehr als glaub- und vertrauenswürdige Quellen für Informationen wahrnehmen. Dann kann es passieren, dass sie sich von diesen abwenden und fragwürdigen Inhalten wie beispielsweise Verschwörungserzählungen widmen, ohne diese kritisch zu hinterfragen.

Im Gegenteil: Sie sind dann oftmals der Überzeugung, die einzig richtige Wahrheit zu kennen. Sie haben das Gefühl, etwas zu wissen, während alle anderen an Lügen glauben. Das ermöglicht ihnen eine positive Selbstwahrnehmung, die ein tief verankertes soziales Bedürfnis aller Menschen darstellt. Der Eindruck, immer einen Schritt voraus zu sein, stärkt sie in ihrem Glauben an Verschwörungserzählungen. Sie fühlen sich einzigartig und besser. Auf diese Weise kreieren Verschwörungserzählungen eine alternative Form der Gemeinschaft. Sie bieten die Möglichkeit, sich darüber zu definieren und die eigene Identität zu formen.

Im Unterricht für Verschwörungserzählungen sensibilisieren

Viele Schüler*innen kommen durch die sozialen Medien mit Verschwörungserzählungen in Kontakt. Die Komplexität der Welt, globale und persönliche Herausforderungen, der psychologische Mechanismus der kognitiven Dissonanzen sowie Identifikationsmöglichkeiten können dazu führen, dass sie sich in diese fiktiven Welten verirren, statt sich an wissenschaftlichen Fakten zu orientieren. Entsprechende Inhalte in sozialen Medien zu löschen, verhindert das nur zum Teil. Wichtig ist vor allem, Verschwörungserzählungen sowie die ihnen inhärenten Narrative und Gefahren erkennen zu können und in der Lage zu sein, die Vertrauenswürdigkeit von Quellen zu beurteilen. Mit folgenden Materialien können Lehrer*innen ihre Schüler*innen für den Umgang mit Verschwörungserzählungen sensibilisieren:

 

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