Von Katzen und Kriegen: Die Verbreitung von Desinformation durch Influencer*innen

von weitklick-Redaktion | 28.02.2023

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Frau, Die Fotokamera Nahe Studiolampe Prüft
© Anete Lusina (pexels)

Sie heißen Alina Lipp, Liu Sivaya oder Vittorio Rangeloni. Über ihre Kanäle in den sozialen Medien berichten sie, wie die Bevölkerung im Donbass angeblich unter der ukrainischen Regierung leidet und Russland gegen vermeintliche Nazis in der Ukraine kämpft. Sie teilen mit Überzeugung ihre Weltsicht und untermauern diese dabei immer wieder mit Desinformationen. So formen sie sich ihre eigene Realität. Auch rechtsextremistische Influencer*innen nutzen Plattformen wie Telegram und YouTube, um ihre Meinungen zu verbreiten und verdrehen dabei gerne die Tatsachen. Dazu gehören zum Beispiel Martin Sellner und Brittany Pettibone.

Dass Inhalte im Internet problematisch sein können, zeigt die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). In einer Schwerpunktanalyse hat sie rund 800 Websites, YouTube-Kanäle, Social-Media-Profile und Messenger-Inhalte aus dem Bereich der sogenannten alternativen Medien auf jugendgefährdende Inhalte wie Verschwörungserzählungen, Hasskommentare und Gewaltverherrlichung untersucht. Das Ergebnis: 35 Prozent erfüllten die Kriterien für einen Verdacht auf strafbare oder beeinträchtigende Inhalte. In fast allen Fällen bestätigte sich die anfängliche Vermutung nach einer tiefergehenden Prüfung. Und nicht nur das: Auch die Reichweite der Influencer*innen, die Desinformationen verbreiten, steigt teilweise sehr schnell. Hatte Alina Lipp beispielsweise im Januar 2022 noch rund 2.000 Abonnent*innen auf Telegram, sind es inzwischen bereits mehr als 180.000.

Mit Strategie zur größtmöglichen Reichweite

Ein Grund für den rasanten Anstieg der Reichweite von pro-russischen Influencer*innen ist möglicherweise, dass die russischen Staatsmedien Sputnik und RT in der EU nicht mehr veröffentlichen dürfen. Die Initiative Reset Tech und der Europäische Auswärtige Dienst haben festgestellt, dass die russische Desinformation zunehmend über authentisch wirkende Einzelpersonen läuft, die bestimmte Narrative weitertragen. Das können sowohl Fake-Accounts als auch real existierende Menschen sein. Während die Social-Media-Plattformen einfache Bots mit problematischen Inhalten inzwischen häufig erkennen und löschen können, gelingt das bei Profilen von realen Personen schlechter. Das ist ein entscheidender Vorteil der Strategie.

Es liegt also die Vermutung nahe, dass auch Alina Lipp, Liu Sivaya und Vittorio Rangeloni im Auftrag von Russland arbeiten. Im Kontrast dazu betonen sie aber, dass sie sich über Spenden finanzieren und inszenieren sich so als unabhängige Blogger*innen oder Journalist*innen. Sie berichten – zumindest teilweise – von vor Ort aus Donezk und legen die aus ihrer Perspektive „echte Wahrheit“ offen. Dabei laden sie regelmäßig, oft auch täglich, neue Inhalte hoch, die aktuelle Themen aufgreifen. Darüber hinaus fällt auf, dass sich die Influencer*innen häufig nicht nur möglichst seriös, sondern auch nahbar geben. Ihre Ideologien streuen sie teilweise wie nebensächlich ein. So erscheint neben einem Foto von Vittorio Rangeloni mit einer Katze auf dem Arm ein Bild von ihm beim Mittagessen mit Soldaten. Martin Sellner erwähnt in einem Koch-Video beiläufig, dass die Kartoffel ja eigentlich gar kein europäisches Produkt sei und deswegen auch nicht so gut zu uns passe, wie alle denken. Passend dazu wählen die Influencer*innen meist eine charismatische Ansprache, die sie mit populistischen Argumenten paaren. Diese sind meist in einem einseitig-unsachlichen und spekulativ-dramatisierenden Stil formuliert.

Eine weitere Strategie besteht darin, gezielt mehrere Social-Media-Plattformen zu bedienen. YouTube und Facebook spielen bei der Verbreitung von Desinformationen nach wie vor eine wichtige Rolle. Wesentlich häufiger sind entsprechende Inhalte aber bei weniger reglementierten Plattformen wie VKontakte und Telegram zu finden, wie die Schwerpunktanalyse der KJM belegt. Über Nahbarkeit, Charisma, Regelmäßigkeit und eine weite Streuung erreichen die Influencer*innen so zunächst eine breite Zielgruppe, die sie im zweiten Schritt von bestimmten Ansichten überzeugen möchten.

Wie Jugendliche mit dem Einfluss durch Influencer*innen umgehen

Und das kann gerade bei jungen Menschen funktionieren: Eine Studie des Leibniz-Instituts für Medienforschung belegt, dass Jugendliche gezielt Influencer*innen folgen, um sich zu informieren, einen schnellen Überblick über das aktuelle Geschehen zu erhalten, sich eine eigene Meinung zu bilden und mitreden zu können. Dabei dienen die Influencer*innen als Ratgeber*innen und Vorbilder. Die von ihnen vermittelten Werte ziehen Jugendliche zur Orientierung heran. Ein weiteres Nutzungsmotiv ist, einen Einblick in den Alltag einzelner Personen zu erhalten und so eine Beziehung aufzubauen.

Je nach Ziel nutzen die Jugendlichen unterschiedliche Arten von Accounts. Für die Meinungsbildung sind dabei vor allem zwei Typen relevant: Zum einen sind das inhaltsfokussierte, themenvielfältige Accounts. Sie stellen nicht etwa eine Person, sondern den Inhalt in den Fokus und behandeln ein breites Themenspektrum. Für Jugendliche sind sie zur Meinungsbildung wichtig, weil sie Fakten und Hintergrundinformationen bieten. Ein Beispiel dafür sind seriöse Nachrichtenanbieter. Allerdings können auch unseriöse Angebote dazugehören, die nur vermeintlich fundierte Informationen bieten und den Auftritt absichtlich ähnlich zu den seriösen Kanälen gestalten, um Vertrauen zu wecken. Zum anderen spielen personenfokussierte, themenspezifische Accounts bei der Meinungsbildung von Jugendlichen eine entscheidende Rolle. Hier steht eine Person im Vordergrund, die zu einem bestimmten Thema berichtet, das häufig mit ihren Interessen oder ihrer Profession zusammenhängt. Die Profile von Influencer*innen können zu dieser Kategorie gehören. Jugendliche nutzen sie, um sich eine persönliche, emotionale und schnelle Meinung zu bilden und so in Gesprächen mitreden zu können. Außerdem dienen diese Kanäle dazu, soziale Nähe aufzubauen. Die Influencer*innen sind Ratgeber*innen und Vorbilder.

Die Accounts von Alina Lipp und Co. erfüllen also viele der Kriterien, die Jugendlichen für eine Meinungsbildung wichtig sind. Sie sind personenfokussiert und setzen ein Thema in den Mittelpunkt. Über die nahbare Aufbereitung der Inhalte ermöglichen sie aber auch, eine Beziehung zu den Influencer*innen aufzubauen. So erreichen sie die Nutzer*innen sowohl auf einer scheinbar informativen, als auch auf einer emotionalen Ebene. Aber Jugendliche betrachten die Influencer*innen und ihre Inhalte auch durchaus kritisch. Dafür ziehen sie den (beruflichen) Hintergrund und die Expertise, die Objektivität und die Einkommensquelle heran. Die oft spekulativ-dramatisierende Sprachwahl der oben genannten Influencer*innen kann sie also zum Beispiel davon abbringen, ihnen Vertrauen zu schenken, da sie gegen Objektivität spricht. Problematisch ist aber, dass die Influencer*innen auch in Bezug auf die zuvor genannten Aspekte unter Umständen Falschaussagen treffen können. Bei einzelnen Personen kommen als Vertrauenskriterien außerdem unter anderem Sympathie, Reichweite und Bekanntheit hinzu. Diese erfüllen Alina Lipp und Co. häufig.

Schüler*innen fit machen gegen Desinformation

Umso wichtiger ist es, Schüler*innen darin zu stärken, ihr Nutzungsverhalten in Social Media zu reflektieren und journalistische Qualitätskriterien im Unterricht zu thematisieren. Denn nur so lernen Jugendliche, seriösen Journalismus in Social Media von den Inhalten der Influencer*innen, die Desinformation verbreiten, zu unterscheiden und Desinformationen als solche einzuordnen. Dazu können Lehrer*innen zum Beispiel folgende Materialien verwenden oder sich weiterführend informieren:

 

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